10 Okt 2008

Lagerfeuer am Phantomsee

lagerfeuer-am-phantomsee

Ursula Döbereiner, Dirk Krecker

3-D Zeichnungen, typewriter drawings
14. Oktober -14. November 2008

Eröffnung: 10. Oktober  2008, 20 Uhr mit Livemusik von Björn Prekär und Captain Fiasko

ausstellungsansicht-krecker
Lagerfeuer am Phantomsee, Ursula Döbereiner, Dirk Krecker
Ausstellungsansicht, Kunsthaus Erfurt, 2008, Foto: Falko Behr

ursuladoebereiner
Lagerfeuer am Phantomsee, Ursula Döbereiner, Dirk Krecker
Ausstellungsansicht, Kunsthaus Erfurt, 2008, Foto: Falko Behr

dirk-krecker
Lagerfeuer am Phantomsee, Ursula Döbereiner, Dirk Krecker
Ausstellungsansicht, Kunsthaus Erfurt, 2008, Foto: Falko Behr


Ursula Döbereiner

Bilder unserer Zeit: Diese Bilder haben eine doppelte Existenz. Man muss eine 3-D-Brille aufsetzen, dann erscheint Ursula Döbereiners Motivtapete räumlich. Die Linien und Farbflächen – wie meist bei ihr am Computer geschaffen – scheinen frei in der Luft zu schweben. Setzt man aber die Brille ab, haben auch die gegeneinander verschobenen Motive in Rot und Grün, die sich im 3-D-Effekt zur plastischen Wirkung verbinden, ihren hohen eigenen Reiz. Der Bildinhalt ist lapidar, aber Döbereiner kreiert daraus ein magisches Erleben. Es sind modulare Fassadenteile der Sechziger und Siebziger, die sie in Paris fotografierte und dann am Bildschirm mit dem Paintboard “zeichnete”. Dazwischen gibt es viele Schriftzüge, auch sie alltägliche Eindrükke von Stadtwanderungen oder von Plattencovern, im Soft-Stil der Seventies oder in der psychedelischen Ornamentik der Sixties. “Rolex”, “Surf”, “tourisme”, “mondial”, “girl” oder eine ganze Palette von Ländernamen wie aus der Anzeige eines Reisebüros – das ist der Fundus an Worten, die bei Döbereiner irgendwann haften blieben und nun wieder an die Oberfläche kommen. Die Linien der Baudetails und der Buchstaben verschlingen sich, wuchern aus und legen sich in Schichten aufeinander; zudem verdoppelt sich jede grafische Einheit durch die Formverschiebung für den 3-D-Effekt. Döbereiner fasziniert diese Technik, weil dabei die Bilder erst im zweiten Schritt entstehen und jeder das räumliche Erlebnis ganz für sich allein machen muss. So nimmt sie uns mit auf eine imaginäre Reise durch die reale Welt. Echtes und Künstliches, Physisches und Immaterielles gehen bei Döbereiner ebenso ineinander über wie digitale und herkömmliche Arbeitsweise. (…) So wird Döbereiners Werk zum kontinuierlichen Bildertagebuch unserer Zeit – abgeklärt im Umgang mit den Neuen Medien, unendlich erweiterbar und doch in jedem einzelnen Teil so berührend, wie Kunst nur sein.  (Sebastian Preuss)

1963 in München geboren | 1989-95Kunststudium an der Hochschule der Künste Berlin bei Raimund Girke, Meisterschülerin | ab 1996 Mitglied der Künstlerinnengruppe STADT IM REGAL | 2005 Lehrauftrag an der Ecole des Beaux-Arts, Toulouse, Frankreich

www.ursuladoebereiner.de

Dirk Krecker

Echo Oldschool: Aus Dirk Kreckers Skizzen strömt Elektrosmog, und es riecht ein bisschen nach Maschinenöl. Wir befinden uns im Zweifinger-System und fahren es hoch. Der Rechner ist ein Schreiber. Prä-Atari, Vor-Commodore. Es muffelt nach oldschool. Es fängt wieder ganz von vorne an. Quasi bei Null. XXX. Plus und Minus. Rattarattaratta. Kling. Die Avantgarde ist laut und braucht die Taste, um direkt zu sein. Sie bedient den ersten Synthesizer, die BeatBox hat noch Hebel. Jeder Schlag ein Treffer, unaufhörlich, monoton. Die Fülle ist wichtig. Die Wiederholung existentiell. Nicht nur Andy will eine Maschine sein. Alles Psycho, Pop und Minimal. Die Information reduziert sich zur endlosen Masse. Der Autor ist tot, der arme Poet einsam. Er bringt nichts mehr zu Papier und hockt die ganze Zeit im Internet. Das Original wird immer absurder. Aus dem Netz kommt nichts mehr raus. Tintenstrahl und Laserstrahl machen die Pace. Sie schlucken das Geld und bestimmen das Tempo. Der Erfinder überbrückt die Kluft. Die Schreibmaschine ist ein Mythos, ein Abgesang auf eine längst vergessene Epoche. Sie transportiert ein Gefühl. Im Wesen ist sie ein Insekt. Sie wimmelt. Schon als bloßer Gegenstand erzeugt sie ein Bild.

Dirk Krecker baut daraus Stück für Stück ein nebelhaftes Rauschen. Er schreibt lose Manifeste, die aus einem technologischen Off heraus über eine mediale Oberfläche gleiten. Sie sind Zeichnung und Datei, handgetippte Telegramme, SMS aus der Vorzeit. Die Manuskripte sind technologische Feedbacks, und sie erzeugen ihre Vibration vornehmlich jenseits des Beschreibbaren. Sie speisen sich aus einem Universalbewusstsein und surfen neomelancholisch durch ein RetroSpektrum modernistischer Archive. Sie wirken irgendwie unbeteiligt und distanziert, still und staubig. Trotzdem sind die Blätter „an”. Sie sind eingeschaltet wie Monitore. Man hört elektronisches Knistern, das Summen einer Bildröhre, die Töne eines sich einloggenden Modems. Das dünne Papier lädt sich statisch auf, und aus einem Krisseln und Fiepen heraus generiert sich graphisch eine spezifische Dichte. Was Dirk Krecker tut, ist so etwas wie mediale Archäologie. Er schaufelt sich durch strukturelle und poststrukturelle Landschaften. Ganz ohne Strom erzeugt er pure Spannungszustände auf Din A4. Auf diesem Standard entwirft er quasi mit bloßen Händen eine multimediale Überlagerung. Aus elektronischer Jetztzeit lädt er sich die Bilder und Bezüge runter und macht daraus altmodische Sciencefiction. Mit seiner klapprigen Zeitmaschine aktiviert er das Papier, formatiert es um, schöpft es quasi neu als pseudodigitalen Datenträger. Dirk Krecker ist romantischer Futurist. Retro-Pionier und Techno-Dandy. Er bewegt sich in einem bewusst nicht zeitgemäßen Underground  und kokettiert fast folkloristisch mit modernen Traditionen. Eine energische Hommage an die radikalen Basics. Bürokratischer Aktivismus mit grobem Werkzeug. Das Resultat ist aber fein. Die Briefe duften ein Stück weit nach Nam June Paik. Kommunikation als schlichte Ornamentenflut. Ganz weit weg und in dünner Farbigkeit vom Band wehen sie vorbei in analogen Schleiern. Die Bilder setzen sich von selbst zusammen. Bei aller Schlagkraft bleiben sie zarte Dokumente im Kampf gegen ein allgemeines Verschwinden.

(Ingo Gerken)

Dirk Krecker wurde 1972 in Frankfurt/M. geboren | 1994-98 HFG Offenbach | 1998-2000 HDBK Staedelschule bei Prof. Thomas Bayrle | 2000-2002 HFG Offenbach bei Prof. Heiner Blum und Prof. Manfred Stumpf | 2002 Diplom

http://www.dirkkrecker.de