29 Jun 2009

Das tolle Jahr von Erfurt

Eigentlich ein Grund zum feiern, dieses Jahr ist Bauhausjahr, auch in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt. Werden 90 Jahre revolutionäre Architektur, Kunst und politischer Diskurs gefeiert? Im Moment sieht es nicht so aus.

Pünktlich zum Bauhausjahr wurde mit dem Abriss des 1925 eröffneten Nordbades begonnen. Besonders bedeutend war das 1929 errichtete Eingangsgebäude im Bauhaus-Stil. Mit der Zerstörung verliert Erfurt ein weiteres Baudenkmal der klassischen Moderne.
Den Abriss nennt man in Erfurt übrigens Sanierung.

Seit Wochen ist die Atmosphäre im städtischen öffentlichen Raum geprägt von polizeilichen Einsätzen gegen Jugendliche, die sich im Park treffen, gegen Kinderfeste, gegen neue Kreativläden oder bei Ausstellungseröffnungen im ehemaligen Innenministerium. Ein Grund dafür ist die Räumung des acht Jahre lang besetzen Geländes der ehemaligen Firma Topf & Söhne. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Geländes und deren Bekanntmachung war während der acht Jahre der Besetzung eine Konstante in der Geschichte des Projekts. Durch das Engagement der Besetzer musste sich die Stadt Erfurt mit diesem Teil der Vergangenheit auseinandersetzen und ein Gedenkort ist in Planung. Auf dem Gelände wurde eine alternative Kultur des leben, arbeiten und feiern praktiziert. Den Besetzern wurde vom Oberbürgermeister noch schnell eine Gartenlaube als Alternativobjekt angeboten. Als die unartigen Kinder nicht dankbar im Kreise sprangen wurde der Knüppel geschwungen, geräumt und über Nacht wurde durch Bulldozer klar Schiff gemacht. Die Kosten des Polizeieinsatzes überstiegen über das fünffache den Kaufpreis welches die Stadt für das Gelände hätte hinlegen müssen.
Auf dem Gelände wurde eine alternative Kultur des leben, arbeiten und feiern praktiziert. Es war das wichtigste Zentrum der Graffiti- und Drum´n´ Bass-Szene. Dem Stadtrat ist gar nicht bewusst, was sie da zerstört haben, da sie einfach keine Ahnung von Jugendkultur haben.
Diese Zerstörung von alternativer Wohnkultur nennt man in Erfurt übrigens Stadtentwicklung.

Leeerstehende Häuser gibt es genug, die auf eine Belebung warten. Der Stadtrat musste sich auf Drängen von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Thema Wächterhäusern beschäftigen, aber leider gebe es in Erfurt keine geeigneten Objekte. Also leere schon aber keine geeigneten leere. Kürzlich wollte eine Kulturinitiative ein altes, leerstehendes Straßenbahndepot im proletarischen Norden erwerben und dort ein Kulturzentrum mit Theaterbühne, Konzerträumen, Kneipe, Biergarten und Ateliers errichten. Plötzlich tauchte noch ein Mitbewerber auf, der dort eine Oldtimerwerkstatt errichten will. Ein Mitglied der zwar schwächer werdenden aber noch existenten alten Seilschaft um den Exbürgermeister und jetzigen Geschäftsführer der Stadtwerke, Manfred Ruge. Was für eine Überraschung, die Oldtimer bekamen den Zuschlag. Manfred Ruge, zu Ost- wie Westzeiten Mitglied der CDU, freute sich in seiner Amtszeit über den Zuzug vieler italienischer Familien aus Kalabrien und der attraktiven Entwicklung des Gastgewerbes. Das damit auch die Ndrangheta Einzug hielt blieb nicht verborgen.
Ndrangheta nennt man in Erfurt übrigens Pizzeria.

Eines der traurigsten Gebäude Erfurts sollte im Juni durch das Krisenfest der Heinrich Böll-Stiftung wiederbelebt werden – das alte Schauspielhaus. Das seit 2003 leerstehende Theatergebäude wurde dem Verfall preisgegeben, allen Interessierten wurde die kalte Schulter gezeigt. Die Bauaufsichtsbehörde genehmigte eine temporäre Nutzung des alten Schauspiels für das Krisenfest, aber der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein hatte etwas dagegen. O-Ton: – Da kommt niemand rein -. Es ist auch schwer mit einem Oberbürgermeister zu verhandeln, der zwar die wöchentlichen Ergebnisse der 3. Fußballliga kennt, aber nicht weiß wer Beuys ist. Der Verfall des 1897 von Georg Weidenbach errichtete Gebäude begann mit der Einweihung der neuen Oper. Diese heißt Theater Erfurt und spielt kein Theater und erhält jährlich 17 Millionen Euro aus dem Erfurter Haushalt. Zum Vergleich, die jährliche projektbezogene Förderung der Freien Theaterszene betragen 60.000 Euro.

Ist also alles beim Alten geblieben? Der Herbst 2008 versprach einen neuen Schwung in die verkrustete Kunst- und Kulturlandschaft Erfurts zu bringen. Es begann eine Diskussion darüber, wie es in Erfurt weitergehen soll, es gründete sich der Klub 500, es gab Aktionen im öffentlichen Raum.
Eines von der Kulturdirektion vorgelegte neues Kulturkonzept wurde vom Stadtrat abgelehnt, es enthielt nur eine Bestandsaufnahme der städtischen Kulturlandschaft und las sich wie ein jährlicher Rechenschaftsbericht. Eine AG Kulturkonzept wurde ins Leben gerufen. Diese ist beauftragt ein komplett neues Konzept zu erstellen. Über das wie schieden sich die Geister. Vom Klub 500 wurde, mit Blick auf positive Ergebnisse in Dresden, Freiburg und Linz, eine öffentliche Debatte mit Hearings und Arbeitsgruppen gefordert. Davon wollte der Stadtrat mehrheitlich nichts wissen. Das Procedere über die Erstellung eines Kulturkonzeptes ist bezeichnend für die aktuelle Situation. Von Seiten der Politik wird eine Einflussnahme durch die Kunst- und Kulturszene an politischen Entscheidungsfindungen öffentlich abgelehnt, intern aber flehend darum gebeten. Aber auch innerhalb der Stadtverwaltung rumort es. Am 1. Juli wird die jetzige Kulturdirektion ins Dezernat Jugend, Bildung und Soziales abgeschoben. Das Signal was dadurch vom Oberbürgermeister Andreas Bausewein und der Stadtverwaltung ausgeht ist provinziell und kulturlos.

Und wie reagiert die Kunst- und Kulturszene? Entsteht etwas Neues? Ansätze gibt es. Jeder neue Laden für Kunst. Kommunikation und preiswerte Getränke, der nicht clean und Ikea-bestückt ist wird dankbar aufgenommen. Das ehemalige Innenministerium wurde durch die Kunstlawine mit Kunst und lauter Musik wachgeküsst. Es gibt Interesse auch in Erfurt ein Fete de la Musique durchzuführen. Selbst die E-Burg plant Aktionen im öffentlichen Raum.
Eins ist in Erfurt überall spürbar, es gibt den Drang nach Veränderung und eine Identifizierung mit der Stadt. Was manchmal eng wirkt birgt die Chance auf Bündnisse jenseits von Parlament und Szenen.

(Das tolle Jahr von Erfurt ist die Bezeichnung für die im Jahr 1509 begonnene Revolte der Stadtbevölkerung von Erfurt gegen ihre Ratsherren.)

Dirk Teschner

Dieser Text erschien auch im hEFt, Juli 2009,