13 Sep 2008

Erfurt hat nichts

Kudernatschs Kolumne, Blitz!, Nr. 9, 15. September 2008

“Im Moment ist es sehr schick, über Erfurt zu sagen, dass es dort gar keine Kultur gibt. …”

“Die taz – eine Zeitung, die in sicherer Entfernung in Berlin sitzt und trotz “t”-Auftakt nichts mit der tlz oder der ta gemein hat – hat damit angefangen. Andere treten nun nur zu gern nach. Aber alle vergessen darüber, dass Erfurt doch auch sonst nichts hat.
Erfurt hat keine richtige Universität, keine richtige Messe, keinen richtigen Flughafen und auch keinen richtigen Oberbürgermeister. Ich meine, der ist ja sehr nett und trinkt auch gern Bier – aber wer will schon regiert werden von einem, der “Bausi” heißt und sich zu Hause ständig den Kopf stößt, weil die Türen alle so niedrig sind?
Erfurt hat keine S-Bahn, keine U-Bahn, keine Seilbahn, keine Pferderennbahn und keine Taliban (obwohl viele vollbärtige Thüringer so aussehen).
Erfurt hat keine Szene-Cafés – nur armselige Läden, die so tun. Oder aus Verzweiflung “Rosenstolz”-Bilder an alle Wände kleben, um den Kaffee teurer machen zu können. Erfurt hat keine florierende Industrie – es sei denn, irgendwann werden wieder Verbrennungsöfen benötigt. Erfurt hat nichts und definiert sich allenfalls über Blumen und Puffbohnen. Aber die kann man nicht mal essen.
Erfurt hat nur Starre – und keine Stars. Es sei denn, man hat einen Wummer-Musik-Geschmack (Northern Lite), Wimmer-Musik-Geschmack (Yvonne Catterfeld) oder überhaupt gar keinen (Christina Rommel). Clueso hält noch aus – aber wie lange noch? Seine Lieder werden immer trauriger – und um sich aufzumuntern und sie nicht noch trauriger werden zu lassen, fährt er ins graue Görlitz, wenn er sie aufschreibt. Eva Padberg hat diese Stadt, die nichts für Model, wohl für Trottel ist, längst im kleinen Schwarzen verlassen. Nur die lokale Erfolgsband Acoustica bleibt uns wohl für immer erhalten und betäubt die Menschen mit Durchhalte-Rock – ob sie wollen oder nicht!
Erfurt kommt komplett ohne Flair aus. Wenn es jetzt wieder eher dunkel wird, liegen die Straßen ab 18 Uhr verlassen da. Erfurt verfügt über eine selbstauslösende Ausgangssperre. Hier kennt man kein pulsierendes Nachtleben – es sei denn, man hat sich schon vor Jahren an die Karibik-Bar gekettet oder an den “Happy-Jever-Montag” in der Engelsburg. Wehe dem Bekleidungsgeschäft, das da ein Mitternachts-Shopping riskiert. Die Verkäuferinnen werden sich die Beine in den Bauch stehen und sich schrecklich erkälten, wenn sie vor der Tür herumlungern und Ausschau nach dem ersten Kunden halten. Da kommt niemand mehr. Selbst der Tod kann in Erfurt nach 18 Uhr nur ein paar Papierkörbe umsensen. Hier ist das grüne Herz Deutschlands tiefschwarz. Erfurt ist die Stadt ohne Lichter und ohne Stimmen.
Hoffentlich ist bald Dezember. Da blinkt und dudelt der Weihnachtsmarkt auf dem Domplatz und lullt uns alle ein. Und wenn man dann in eine Bratwurst beißt, entsteht vielleicht so etwas wie Hoffnung.”

André Kudernatsch

www.kudi.de

http://www.blitz-stadtmagazin.com/thueringen/index.htm

 

 

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