25 Aug 2023

immer im interim

Simon Hehemann

25.08.- 06.10.2023
Eröffnung: Freitag, 25. August 2023, 20 Uhr
Einführung: Goesta Diercks
Sammlung Falckenberg / Deichtorhallen Hamburg

Gefördert durch die Kulturstiftung des Freistaats Thüringen, die Kulturdirektion der Stadt Erfurt und die Thüringer Staatskanzlei. Mit freundlicher Unterstützung von Hilge e.V.

Abb.: Simon Hehemann, aus diesem Punkt, 2019,
Mischtechnik auf Leinwand, 240 x 190 cm

 

immeriminterim

Der Hamburger Okkultist Ferdinand Maack, vergessener Entdecker unseres verlorenen Zweiten Gehirns (auf dessen Spur uns die verschlungenen Mäander auf unseren Fingerkuppen bringen können), hat der Entschlüsselung einer ins magische Quadrat hineinverrätselten orientalischen Talisman-Formel ein halbes Leben und ein ganzes Buch gewidmet (1).
Die Erwartung, schnell verstehen und lösen zu können, muss wohl auch hier enttäuscht werden, das chiffrierte und verdunkelte Rätsel kann genuiner Wesensbestandteil einer Schutzformel sein und soll Distanz und Dauer schaffen, für Abstand sorgen, zeitlichen und räumlichen, bannen, und das mehrdimensional, man hält von sich fern, was man von sich fern halten muss – oder möchte, mehr noch: will, (und das kann es auch in der Kunst geben, heute eine seltene Variante der künstlerischen Haltung, die auch zunehmend weder verstanden noch geachtet wird).
immerininterim: Um einem magischen Quadrat zu entstammen, oder eines zu bilden, ist diese Wort- und Zeichenfolgefolge gleich auf den zweiten Blick, der die Zeichen schon zählen und ordnen will und den ersten Verstehensimpuls korrigieren, zu kurz oder zu lang: zu lang für das Saturnquadrat, drei mal drei, zu kurz für das Jupiterquadrat, vier mal vier.
Angenommen, es handelte sich nicht um die ganze, vollständige Formel, was nicht bekannt ist und, wird die Lösung nicht gefunden, auch unbekannt bleibt – was ist es denn aber, das fehlen könnte?: auf immer im interim, für immer im interim? Verabredung oder Verwünschung, ein sich Einschwören, gemeinsam oder allein, dafür oder dagegen, und was denn dort, im Interim, wo auch immer es ist, fern oder nah, in mir oder ganz jenseits, und was für ein Sein steht aus oder an: zuhause, geborgen, verloren – oder dort gar schmoren?
Für immer im Interim verloren, das ist wie lost in space, und es reimt sich auch auf schmoren.
Schmoren: irreversible Wandlung, und in ostinater Verstetigung eine Aktion und Geste der Hölle, There is a place, a place in hell, reserved for me and my friends (2);
(not alone, thank you god – aber die Freunde kneifen, sie verpissen sich ins Paradies).
Schmoren alone also, forevermore; beharren auf den Status der Werdenden, Unvollendbaren,
auf immer unfertig bleiben, unabgeschlossen, mithin offen und ganz im Werden. Das kann purer Horror sein – oder ein ganz und gar wunderbarer Zustand, im interim.

Interim, zwischenzeitlich, ein raumzeitliches Gebilde, das weniger Ort als Dauer ist; aber auch in ein Musikstück, das zwar notwendig Anfang und Ende hat, aber sich eigentlich doch ausschließlich dazwischen ereignet, kann man hineinsinken und sich darin verirren, gar verloren gehen wie in einem schwarzen Loch, es zieht uns hinein (ist ein Loch ein Ort?). Und darin sein, für immer? Nur wenn man dessen Komponist ist und durch dieses unsterblich. Apropos, die Idee, das Ende in weiteste Ferne zu schieben, lässt sich hier, anders als im Leben, ganz schlicht mit dem Tempo regeln: As slow as possible (3). Und wenn es soweit ist, Finale und ganz am Ende, spricht die Tropfsteinmaschine: ick bün all dor (4).

Zwischenzeit – ein Spalt in der Zeit, ein Schlupfloch in der Welt, durch das die Dinge, zwischenzeitlich, in die vierte Dimension abtauchen oder aufsteigen, in jedem Fall verschwinden sie aus unserem Blickfeld, aus unserer materiellen Welt, um dann, ganz unerwartet, andernorts aus einem transitorischen Fleck wieder herauszupurzeln, ganz die alten und zugleich ganz neu?
Immer heißt, sie kommen nicht wieder, sind verschwunden, um zu bleiben; die alte und gute Geschichte: anwesend aber woanders, in der Abwesenheit, und das muss die Präsenz nicht mindern.
„Wieviel“ Ort kann ein Spalt denn sein, ein Durchgang? Der enge Raum zwischen zwei Felsen, der Spalt durch den man sich hindurchzwingt, in wundersamer gemessener Abreibung Krankheit und Sünde abstreift, bäuchlings wie rücklings am Gestein, der ist es doch, der diesen Ort definiert und ihm seinen Sinn gibt, nicht die Gesteinsmassen, die an seinen Rand heranwachsen und ihn formen.

Anemochorie, ánemos, chōreín, sich fortbewegen im Wind, sich ausbreiten im Hauch, sich herschenken ins Ungewisse, vom Blütenstempel in die Weite, tief ins Feld, in jenen unbestimmten Raum, eine terra incognita, bevor man landen wird und in der Erde wurzeln, wenn es denn gelingen wird – und solange man das nicht weiß: das ist der beste Moment, und man möchte ihn doch ausdehnen, endelos, denn wer möchte schon landen – im interim…immer auf dem Weg sein, am liebsten in der Luft, heißt es nicht auch das?
Der Weg geht in die Wolken, durch die Wolken, über die Wolken,
head in the clouds, „in Lüften fahren, auf einer Wolke“:

ANAN
NASA
ASAN
NANA

Im 13. Kapitel der Heiligen Magie des Abraham von Worms, Abramelin, finden wir diesen Schlüssel dafür (5). Ich assoziiere dazu allerdings einen Zündschlüssel und den seligen Gordon Lightfoot (und zugleich Kermit und die Was-passiert-dann-Maschine, die final Kermits Transistor-Radio am Ballon vorbeiziehen, dann aufsteigen lässt und in die Lüfte entschwinden),
Lightfoot singt zur 12-Saitigen („I’m not supposed to care“), into the air, dem Radio hinterher (6):

I’ll give you the keys to
My flying machine if you’d like
I will show you the light and when you call
I’m gonna come to you
And when you find someone who loves you,
I’ll know you would treat me the same
Just lie there, you’re not supposed to care,

und ich denke an die Mokick-Schlüssel des Künstlers. Oder schließt er stets kurz?
Unterwegs sein, zwischen den Arten und Orten, loslassen, aber, please, dann sogleich, oder am besten zugleich: lenken, anvisieren, ergreifen  for something, still looking for something, alles teilen, also: alle Teile in die Luft werfen – und sie dort halten. Der Stein wird Vogel, Merleau-Ponty, der ihn geworfen hat, das tapfere Schneiderlein, Wittgenstein wird Hans im Glück und streift den Gips ab, und die in ink und tiefblau in den Hals gestochene Schwalbe: ein Knutschfleck. Und alle gehen, kommen nicht wieder, schwinden, verschwinden, sie bleiben unterwegs, woanders für immer, im interim.

Was macht der Dichter? Er wählt seine Zwischenzeit, ganz Ohr, den in der Ferne rufenden, ins Jenseits lockenden Vogel hat er nun ganz nah bei sich, und hält ihn, wie die Spes, ruhig auf der ausgestreckten Hand und auf Herzhöhe, und ein altes Lied klingt in ihm, Tausend Tränen tief (7, 8):

In the world of dreams I have chosen my part,
To sleep for a season and hear no word
Of true love’s truth or and love’s light art,
Only the song of a secret bird.

Interim. Und dann: er – consumed tonight more than he can hold – fällt unter den Tisch: Int..im.

Was macht der Künstler?
Er legt los, spannt den Wagen ein, tritt den Starter, Häwelmann wird den guten Mond leuchten lassen, dessen Licht scheinen und wissen, wann es genug ist.
Die Flugsamen, die in Simon Hehemanns komplexen, stetig wachsenden und sich weiter verzweigenden Werk subtile Signifikanten bilden, Eck- und Knotenpunkte bekleiden, vermählen sich mit den quadratischen Feldern, den schwebenden Rastern, sind von Nadel und Faden überm Blatt und in Spannung gehalten (und da schwingt und singt es wieder: ein Dosentelefon!) , zwischen Landen und Abheben. Im interim.
Wer den Faden ausgespannt weiß, dem die Wesen sind angewewebt, wer des Fadens Faden kennt, der weiß die große Brahman-Kraft (9).
›Dieser Faden, Gautama, ist der Wind; durch den Wind als Faden, Gautama, ist diese und jene Welt, sind alle Wesen verknüpft. Von einem toten Menschen sagt man darum, daß seine Glieder sich lösen. Denn durch den Wind, den Hauch als Faden sind sie zusammengeknüpft (10).‹

Binden und Lösen, ein Wind zu sein in Deinen Hosen, alles teilen, alles in die Luft werfen, alles in den Wind schießen.


Zwei sammeln, zwei werfen, zurück also zum Magischen Quadrat und auf Los:
Mit den beiden Leerzeichen zwischen den Worten hätten wir zwar 16 Felder, damit jedoch wohl eines zuviel; die Vorstellung hingegen, die sich schon beim Betrachten der Zeichenfolge immeriminterim assoziativ einstellt, die Zeichen könnten einem verborgenen Sinn folgen und wie von selbst oder Geisterhand die Stellen wechseln, wandern, die Plätze hin- und her tauschen – das leuchtet ein. Und anders als bei den Buchstaben-Schiebetäfelchen aus Plastik, an denen wir als Kinder herumknobelten, wird hier keine Leerstelle für den Wechsel benötigt, keine träge Mechanik; es liegt, vollzieht sich in der Luft, im Raum um die Felder, in der Geste des Tauschs, in der Zuwendung zueinander; stellt man sich vor, man spiele mit einem Gegenüber schweigend ein altes Brettspiel, dann gründet der turn bereits in der stummen Ankündigung, der inneren Bereitschaft, und der kommende Zug wird vielleicht erahnt, fügt sich aus der Lage, ist aber noch nicht gekannt. Felder, die verlassen, verworfen, neu besetzt werden werden, bleiben vielleicht aber auch leer – und im Moment des Abhebens der Figuren und darüber hinaus gibt es keinerlei Gewissheit, sie erwischt der Windzug, wickelt sie um seinen Faden, und fort sind sie: im interim.

Der charakteristische Einsatz von Mechanik in Simon Hehemanns Werk, zwischen Traumfänger und Bi-Metall, Aufziehmotor und rotierender Armillarsphäre, ist als eine Meta-Mechanik oder Para-Mechanik anzusehen, und je mechanischer und kindlicher die Mittel seiner Arbeiten sind, und darin bis hin zum Deprimierenden, in einem subtil ins Symbolische erhobenen Spiel mit Scheitern und Enttäuschungen – die HO, die aus der Kurve und von den Schienen kippt, einen sibirischen Wald vollständig abgebrannter Streichhölzer nach Wolkenkuckucksheim bringen soll und zwar schon gestern – desto leichter und weiter heben diese Mittel ab und bewegen die federleichte als auch die gipsschwere Materie und alle Qualitäten dazwischen in ein landschaftliches Refugium aneinandergeschmiegter schwingender Seelenzustände, im interim.

 

Immeriminterim: im Gleichklang, der Swing und Sound dieser Formel lässt uns Abrakadabra denken, ein klangvolles Murmeln innerlich hören wie beim Entziffern von Keilschrift, oder ein Zwackelmann’sches Deklamieren („nach Buxtehude!“ (11)), eine Frage von Haltung und Herangehensweise, aber womöglich geht – so oder so – alles auch gar nicht auf und ist nur Täuschung, soll der Schwindel doch auffliegen.
Immerhin (dieses Wort liest sich gleich ganz anders, man spricht es unwillkürlich mit), tragen wir die Formel in die ersten beiden Zeilen eines siebener-Venusquadrats ein:

IMMERIM
INTERIM
ergibt sich gemäß den alten Gesetzmäßigkeiten der Wort-Zahl-Äquivalenz die gleiche Quersumme: 11.
10 40 40 5 100 10 40=245=11
10 50 300 5 100 10 40=515=11

i: 10, m: 40, e: 5, r: 100, n: 50, t: 300
Das kann doch so stehen bleiben.
Die Quersumme ist 4.
Fab Four forevermore,
(Seinsfrage, dem Nebenmenschen ins Ohr zu flüstern: Wer ist Dein Lieblingsbeatle?).

 

Anmerkungen:
1: Ferdinand Maack, Talisman Turc, Hamburg 1926
2: Morrissey: There’s a Place in Hell for Me and My Friends, Track 10 auf Kill Uncle, 1991
3: Vgl.: John Cage, ORGAN²/ASLSP, 1987, Projekt/Installation in der Sankt Burchardi-Kirche in Halberstadt (angelegt auf eine Dauer von 639 Jahren).
4, Buxtehude I: Der Hase und der Igel, Dat Wettlopen twischen den Hasen un den Swinegel up de lütje Heide bi Buxtehude, Wilhelm Schröder, 1840
5: Georg Dehn: Buch Abramelin, 1995
6: Gordon Lightfoot: I’m Not Supposed To Care, Track 3 auf Summertime Dream, 1976
7 Blumfeld: Tausend Tränen Tief, Track 2 auf Old Nobody, 1999
8: Ballad Of Dreamland, Algernon Charles Swinburne, 1879
9: Übertragung wahrscheinlich von Rudolf John Gorsleben, in Hoch-Zeit der Menschheit, 1930
10: Der geheime (innere) Lenker, Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958
11, Buxtehude II: Vgl: Räuber Hotzenplotz, Otfried Preußler, darin Zauberer Petrosilius Zwackelmann: “Hokuspokus – mattilla, mattallo, lirum, larum – hex und rude, auf nach Buxtehude.”

Alexander Rischer