3 Mai 2024

LOTUS EATER

Elisa Breyer

03.05.-30.06.2024
Eröffnung, Freitag, 03. Mai 2024, 20 Uhr
Einführung: Sarah Crowe, Kunsthistorikerin und freie Kuratorin

24.05.2024, 20-24 Uhr
Lange Nacht der Museen und Galerien
Ad-Hoc-Kuratorinnenführungen

Lōtophágoi

 Es sind -7 Grad Celsius und wir essen nicht Lotus, sondern einen Hamburger und eine Portion Pommes bei Five Guys am Alexanderplatz. Du hast uns einen Refill-Limo-Becher geholt, aus dem wir abwechselnd erst Cola, dann Sprite und dann Fanta trinken.
“Seit ich so viel beruflich reisen muss, liebe ich Ketten”, sage ich.
“Ich weiß, was du meinst. Die größte Qualität von MacDonald‘s ist, dass das Essen immer genau gleich schmeckt“, sagst du.
“Und dass die Öffnungszeiten immer ungefähr gleich sind”, sage ich.

Ich erzähle dir zum ersten Mal von meinem Roman, der eigentlich kein Roman ist, sondern eine fünfteilige Essay-Sammlung zum Thema Queerness und chronische Erkrankung.
„Der Text arbeitet aber schon auch sehr narrativ“, sage ich. „Weißt du, ich will, dass er hot und traurig zugleich ist, zart und bold, schüchtern und sexy. Ich will, dass er die Leser*innen auf einer Affektebene abholt.“
„Und ihr schreibt da Roman drauf?“
„Nee, aber wir tun so, als wäre es einer.“
„Warum?“
„Damit die Leute sich trauen, das zu lesen. Damit sie sich in die Figuren verlieben und ihre besten Freund*innen sein und mit ihnen Sex haben wollen, damit sie so sehr caren und mit den Figuren fühlen, dass sie nicht anders können, als sich mit der ganzen Theory auseinanderzusetzen.
„So eine Art trojanisches Pferd also“, sagst du.
„Genau“, sage ich.

Wir essen die letzten Pommes in der riesigen braunen Papiertüte auf, dann schmeißen wir unseren Müll in den Müll, verlassen die Filiale und gehen mit nach Frittierfett riechenden Jacken durch die kalte Nachtluft in Richtung U2-Station.

*

Das ist der Anfang unserer Platonic Romance.

*

In den folgenden Wochen und Monaten wird sie sich fortsetzen: In deiner Wohnung in Kreuzberg, wo ich an einem Mittwochmorgen aufwache, leise aufstehe, kalt dusche, weil ich den Boiler nicht kapiere, und dich mit zwei Kaffees wecke.
Bei einem Kunstflohmarkt in Neukölln, wo man Designer-Lingerie kaufen kann, teuren Schmuck, und: Prints von deinen Gemälden.
Bei Ishin in Mitte, wo wir das Sushi-Lunch-Menu essen und wir über solidarisches Verhalten sprechen und du zu mir sagst: „Es ist einfach wichtig, den Aufzug wieder runterzuschicken.“

*

Vielleicht wirst du unsere Platonic Romance irgendwann malen, so, wie du vor zwei Wochen mich alleine gemalt hast, mit meiner orangen Decathlon-Sonnenbrille und meinem blauen Bandana, vor dem Café, in dem ich einen Espresso getrunken habe und du einen Filterkaffee plus eine heiße Zitrone. “Duo Infernale” hast du das genannt, und wir haben über den Kunstbetrieb gesprochen und über deine Freund*innen, die einen Freundschaftspreis wollen, und über meine Bekannten, die denken, ich verdiene voll gut.

Du hast mir das Porträt von mir spätabends via Whatsapp geschickt, das Jeanshemd und meine Jacke noch weiß.

Ich habe mir vorgestellt, wie irgendein reicher Banker oder Start-up-Typ irgendwann dieses Bild besitzen wird.
Ich habe mir vorgestellt, wie es irgendwann bei diesem Typen zuhause hängen wird.
So, wie ich mir manchmal vorstelle, bei wem meine Bücher rumliegen werden.
Ich habe mir vorgestellt, wie der reiche Schweizer Banker oder der australische Expat oder der deutsche Start-Up-Unternehmer nachts in nichts als einer Unterhose daran vorbeigeht, um ein Glas Wasser zu holen, wie er sich vor dem Bild mit seinem Freund streitet, wie die beiden sich anbrüllen.

Ich stelle mir manchmal vor, wie mein Buch nach seinem Erscheinen mit eingedrückten Ecken in einen fremden Rucksack gesteckt wird. Wie jemand, den ich noch nie gesehen habe, das Buch neben sich auf dem Bett liegen hat, während dey masturbiert. Dass dieser Jemand sich mit einem kurzen, angekauten Bleistift einzelne Sätze anstreicht.

*

Vier Wochen nach Five Guys rufe ich dich an, weil ich eine Buchcover-Krise habe und deinen Rat brauche.
Du bist gerade in deiner Wohnung, hörst ein Hörbuch von Fatma Aydemir malst ein Stillleben mit einem Rotkohl.
„Der Verlag will die ganze Zeit so ernste Covers“, sage ich. „Das Problem ist einfach: Behinderung ist nicht sexy.“
„Und außerdem unsichtbar. Also, deine“, sagst du, dein Feuerzeug klickt.
„Genau. Ich meine, entweder müssen die jetzt halt mit so was Rollstuhl-Piktogramm-Style kommen, oder man checkt es nicht.“
„Hmm.“
Ich höre dich rauchen.
„Also, weißt du – ich kann ja ziemlich gut relaten mit deiner Trojanisches-Pferd-Poetik. Von einer post-ostdeutschen Working Class Position aus sprechend.”
“Was meinst du damit genau?”
“Ich glaube, ich meine voll Vieles damit. Also, innerhalb von so ‘nem identitätspolitischen Pseudo-Umverteilungs-und-Repräsentations-Dings ist meine Perspektive zum Beispiel voll uninteressant: Ich bin blond, sehe nicht queer genug aus und es gibt keine sexy Zeichen, mit denen meine Marginalisierung assoziiert wird.”
“Makes sense.”
“Also weißt du, das soll jetzt nicht in so ‘ne „Ich bin so weiß und cis und nicht marginalisiert genug“-Richtung gehen, überhaupt nicht, ich will vielmehr sagen: Die Formen der Marginalisierung, die mich am härtesten treffen, lassen sich nicht mit “diversen” Faces abbilden.
Und das macht die künstlerische Auseinandersetzung damit irgendwie auch… kompliziert. Man muss da son ‘nen Weg dran vorbei finden. Also, weißt du, wenn ich mich künstlerisch mit meinen Themen auseinandersetze, dann hab‘ ich ja auch kein Interesse daran, das zu malen und zu reproduzieren, was reiche Leute sich zum Beispiel unter Armut und Prekariat vorstellen.
Being poor im Europa des 21. Jahrhunderts sieht einfach überhaupt nicht so aus, wie Reiche denken. Das ist ja super maskiert und subtil heutzutage. Und wenn es das nicht wäre, dann wäre es – mir fehlt ein deutsches Wort dafür – abject. Also, ich würde mir als Rich Kid eher kein Porträt von einem Bettler in abgerissenen Klamotten ins Wohnzimmer hängen, wenn du weißt, was ich meine.”
“Das macht für mich grade super viel Sinn. Also, dass dieses angelernte Habitus-Faken auch für die Ästhetik deiner Gemälde voll die Rolle spielt… wenn du zu genau diesem Thema arbeitest.”
“Ja. Und dann werden die Bilder von reichen Leuten gekauft, die mir das ja auch irgendwie abnehmen, denke ich. Wenn ich nicht als privilegiertere Person durchgehen würde, als ich bin – ich weiß nicht, ob ich an der gleichen Stelle wäre in diesem Betrieb. Ähnlich, wie bei dir
vielleicht: dass du dauernd deine chronische Erkrankung zu maskieren versuchst, um an der Mehrheitsgesellschaft teilnehmen zu können, und um überhaupt eine Bühne zu bekommen, auf der du Kunst von deiner behinderten Position aus machen kannst – allerdings immer noch in einer Form, die das dir strukturell überlegen Publikum nicht abstößt.”
“Ja, das ist smart.”
“Tja, und wegen alledem brauche ich, ähnlich wie du, eine glossy, sexy Ästhetik, eine hyperaffirmative, konsumierbare Form. Wir brauchen beide ein Produkt, das sich bei den strukturell Mächtigeren einschleusen lässt, das nice ist, das man haben will. Und genau das brauchst du meiner Meinung nach für dein Buchcover: ein hübsches trojanisches Pferd.“

Sechs Monate später wird das erste Exemplar von meinem Buch in den Druck gehen.
Auf dem Cover: Wann endlich Menopause IV von Elisa Breyer.

Selma Kay Matter

 

Selma Kay Matter (dey//they), *1998, aufgewachsen in Zürich und Italien, war Mitherausgeber*in der BELLA triste Zeitschrift für junge Literatur und Teil der künstlerischen Leitung von PROSANOVA 2020.
Als Autor*in und Theatermacher*in arbeitet Selma Kay Matter in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen. 2023 hat dey mit Duygu Ağal, Lynn Musiol und Evan Tepest im Rahmen von DYKE DOGS an der Schaubühne Berlin den 1. FC DYKE gegründet. Selma Kays Stücke, zum Teil entstanden im Duo mit Marie Lucienne Verse, wurden u.a. am Berliner Ensemble und dem Schauspielhaus Wien aufgeführt. Das Stück Grelle Tage ist 2023 in der Buchreihe Suhrkamp Theater erschienen und wurde mit dem Hans-Gratzer-Preis 2022 und dem Nestroy-Preis 2023 in der Kategorie »Beste:r Nachwuchs« ausgezeichnet. Muskeln aus Plastik ist Selma Kay Matters erstes Prosawerk und erscheint im Herbst 2024 bei Hanser Berlin.