17 Mrz 2007

FORM -FIT

form-fit

Andrea Pichl

Installation
17. März – 20. April 2007

„Just when I think I’m winning,
When I’ve broken every door
The ghosts of my life
Blow wilder than before“
Japan

Jeder lebt in seiner eigenen Welt, trägt Erinnerungen und Bilder in sich, die immer wieder zurück an die Oberfläche des Bewusstseins drängen. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – das alles sind nur unterschiedliche Aggregatzustände des Seins, die sich einer klar umrissenen Abgrenzung verweigern. Wenn wir eine Situation erleben, spuken uns immer auch die Bilder des Erlebten und Gesehenen im Kopf herum und oft sind es gerade die kleinen unbedeutenden Situationen, Orte, Geräusche, die sich später als Wiedergänger entpuppen.
Andrea Pichl zeigt in ihren Arbeiten das Versatzstückhafte unserer Welt und bedient sich dabei des Mittels der Collage, die – das behaupteten schon die Dadaisten – einzig
geeignet erscheint, der Realität gerecht zu werden. In raumgreifenden Installationen und auf Bildcollagen durchdringen sich spielerisch die verschiedenen Ebenen des hier und jetzt, des dort und damals, des high und low. Vergangenheit und Gegenwart, Osten und Westen, Kommunismus und Konsumismus ringen miteinander. Die verlorenen Utopien der russischen Konstruktivisten und die Realität der DDR-Betonfassadengestaltung mischen sich mit den allseits bekannten Stoffmustern schwedischer Möbelhäuser, Werbeslogans, subversivem Liedgut, den Auswüchsen der Trash-Kultur, verblassenden Ikonen und den Menschen eines ganzen Jahrhunderts. Die Umsetzung ihrer Raumfindungen mit billigsten Materialien – Pappe, Sperrholz, Folie – mag als Kommentar der Künstlerin zur Haltbarkeit so mancher Utopie verstanden werden.
Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört. Dabei durchlaufen die von Andrea Pichl collagierten Elemente, die Architektur- und Skulpturfragmente, vielfältige Transformationen.
So wird eine Potsdamer Außenraumskulptur mit einer der Marx’schen Feuerbachthesen zum Wortträger für die Sex Pistols: „I am an antichrist (…) I wanna destroy the passerby ´Cause I wanna be anarchy in the city“. An anderer Stelle vereint sich eine, der gläsernen Blume des Palasts der Republik nachempfundene Skulptur mit einem Stoffmuster von Ikea.
Und drei athletische Blondschöpfe des sowjetischen Malers Alexander Dejneka sitzen vor einer Plattenbau-Filiale von Getränke-Hoffmann und betrachten ein Flugzeug am blauen Himmel. Pichls Bildfindungen beherbergen auch autobiographische Fragmente: So trifft die Künstlerin mit Schwester, aufgenommen an einem 1. Mai der frühen 70er Jahre in Moskau, auf die Handy- und Coffee-to-go-bewehrten Menschen der Gegenwart.
Die Aushebelung sämtlicher Größenverhältnisse stellt den Betrachter vor eine Herausforderung: So entziehen sich altbekannte Elemente – in ungewohnten Dimensionen und Zusammenhängen, die Grenzen von Ort, Zeit und Größe sprengend – der schnellen Zuordnung. Die einzelnen Fragmente verdichten sich zu Wahrnehmungsclustern, sind dingfest gemachte Cultural Memory.
Andrea Pichls Arbeiten sind dabei weder Retro noch nostalgisch. Im Gegenteil: Indem sie den Blick für unsere Zeit, dieses Puzzle aus verschiedenen Realitäten und Orten, aus Vergangenem und Neuem, schärfen, behaupten sie eine hoch aktuelle künstlerische Position. Sie sind die Collage gewordene Erkenntnis, dass sich Alltagsgeschichte, selbst wenn sie nur vierzig Jahre währt, nicht in Luft auflösen kann, sondern weiter wirkt und uns täglich begegnet.
Petra Stegmann

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